Probleme und Lösungen

Warnschutzkleidung – von Grund auf erklärt

· 4 Min Lesezeit

Warnschutzkleidung hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Die Sensibilität, wann Warnschutzkleidung in welcher Arbeitsumgebung nötig ist, ist gestiegen. Strenger werdende Gesetze, Schutz vor Klagen und ein zum Glück zunehmendes Sicherheitsbewusstsein sind die Gründe dafür. Moderne Entwicklungen wie selbstfahrende Niederflurfahrzeuge oder Mehrschichtbetriebe erhöhen das Gefahrenpotenzial. Der Volksglaube ist aber oft noch, dass eine Warnweste reicht, obwohl bereits komplette Warnschutzkleidung erforderlich wäre.

Auf verkehrsnahen Flächen oder direkt im Gefahrenbereich des fließenden Verkehrs ist Warnschutzkleidung unverzichtbar. Die fluoreszierenden Hintergrundfarben und Reflexstreifen erhöhen die Sichtbarkeit für Fahrerinnen und Fahrer oder Bedienerinnen und Bediener. Die bessere Sichtbarkeit hilft, Unfälle zu vermeiden.

EN ISO 20471:hochsichtbare Warnschutzkleidung

Die gesetzlichen Anforderungen an hochsichtbare Warnschutzkleidung sind in der europäischen Norm EN ISO 20471:2017 festgelegt. Basis der Norm ist eine Risikobetrachtung für Situationen mit hohem Risiko, übersehen zu werden. Hauptakteure dieser Betrachtung sind die passiven Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, deren Hauptaugenmerk auf ihre Arbeitstätigkeit gerichtet ist und nicht auf den Verkehr, wie bei Stapler-, Bagger- oder Müllwagenfahrer/-innen.

Klassen in der EN ISO 20471

Es gibt drei wesentliche Klassen in der EN ISO 20471. Für passive Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer ist dabei die Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Fahrzeuge (≤ 30 km/h, ≤ 60 km/h, > 60 km/h) zu beachten. Je nach Geschwindigkeit ist eine andere Schutzklasse der Warnschutzkleidung zu verwenden. Die drei Bekleidungsklassen (1, 2, 3) geben die Mindestflächen in m2 an fluoreszierendem (tagsichtbarem) Hintergrundmaterial und retroreflektierendem (nachtsichtbarem) Material an. Für die höchste Warnschutzklasse 3 muss das einzelne Kleidungsstück über mindestens 0,8 m2 Hintergrund- und 0,2 m2 Reflexmaterial verfügen. Dies wird an der kleinsten angebotenen Kleidungsgröße gemessen. Das fluoreszierende Hintergrundmaterial kann dabei in den Farben Warngelb, Warnorange oder Warnrot verarbeitet werden.

Warnschutzkleidung zertifiziert nach DIN EN 20471 gilt als persönliche Schutzausrüstung. Dafür muss im Auftrag des Arbeitgebers durch eine befähigte Person eine schriftlich dokumentierte Gefährdungsbeurteilung (DE) bzw. eine Arbeitsplatzevaluierung (AT) erstellt werden.

In Österreich sind lt. nationaler PSA-Verordnung die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Auswahl der Produkte miteinzubeziehen, z. B. durch Mitsprache und Produkttests. Der Arbeitgeber hat für die Beschaffung, Instandhaltung und Reinigung zu sorgen. In seine Pflicht fällt auch, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der sicherheitsgerechten Benutzung der PSA und über Verbrauchsgrenzen zu unterrichten und diese innerbetrieblichen Unterweisungen jährlich zu wiederholen. Die Unterweisung hat in für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verständlichen Sprachen bzw. in einer verständlichen Art zu erfolgen und muss schriftlich dokumentiert werden. Die Vorgaben müssen die Mitarbeitenden befolgen.

Rundum-Sichtbarkeit

Warnschutzkleidung muss den gesamten Torso, die Arme und/oder die Beine mit fluoreszierendem Material und retroreflektierenden Streifen umschließen. Warnwesten und Warnschutz-Bundhosen erfüllen als einzelne Kleidungsstücke abhängig von der Anordnung und Breite der Reflexstreifen die Anforderungen der Klasse 1 oder 2.

Warnschutz-Latzhosen und Bundhosen, die mit einer Warnweste oder Warnschutzjacke kombiniert getragen werden, können in die Warnschutzklasse 3 eingestuft werden, wenn die sichtbaren Gesamtflächen mind. 0,8 m² Gewebe entsprechen.

Die addierte Fläche aller angebrachten Logos muss von den sichtbaren Flächen abgezogen werden. Das kann Auswirkungen auf die Warnschutzklasse bzw. sogar auf die Zertifizierung und Herstellerhaftung haben; hier kann der Arbeitgeber schnell in eine ungewollte Haftung kommen. Die Position der Logos können die Hersteller vorab für die Baumusterprüfung angeben und den Endkunden mitteilen. Damit besteht Rechtssicherheit.  

Die Mindestbreite der Reflexstreifen (vertikal) beträgt 5 cm. Das fluoreszierende Material soll generell möglichst großflächig verarbeitet werden. Damit kann man einen hohen Kontrast zum Hintergrund erzielen und die Sichtbarkeit optimieren. Die an den Ärmelenden und Beinsäumen positionierten Reflexstreifen tragen bei Dunkelheit maßgeblich dazu bei, Personen aufgrund ihrer Bewegung frühzeitig zu erkennen und adäquat zu reagieren. Die menschliche Silhouette lässt sich am besten im Dunkeln erkennen, wenn waagrechte und senkrechte Reflexstreifen gewählt werden. Die Norm EN ISO 20471 beinhaltet einen informativen Anhang D, in dem ein Leitfaden für das Design von Warnkleidung in Bezug auf Rundum-Sicht erklärt ist.

Jede nach EN ISO 20471 zertifizierte Warnkleidung ist durch das Piktogramm, das eine Warnweste mit waagrechten und senkrechten Streifen darstellt, leicht erkennbar. Die Bekleidungsklasse ist rechts neben dem Piktogramm als Zahl vermerkt.

Qualität abseits der Norm

Die Qualitätsunterschiede und Preisunterschiede der am Markt angebotenen Warnschutzkollektionen nach EN ISO 20471 sind breit gestreut. Die Norm stellt reine Mindestanforderungen an Gewebeflächen, Waschbarkeit, Anbringung der Reflexstreifen und Gewebequalitäten.

Je mehr Reflexmaterial eingesetzt und optimal positioniert wird, desto weiter lässt sich die Sichtbarkeit noch erhöhen.

Der erste große Qualitäts- und Preisunterschied ergibt sich durch die Wahl der Rohmaterialien. Durch segmentierte, also unterbrochene Reflexstreifen, die im Thermo-Transfer-Verfahren angebracht werden, wird die Warnschutzkleidung atmungsaktiver. Beim leuchtenden Warnschutzgewebe selbst ist eine Satinbindung das Maß der Dinge. Sie bringt den Vorteil, dass die Gewebe bei Kontamination mit Betriebsmitteln weniger verschmutzen. Viele Markenhersteller setzen auf diese Qualitäten.

Leuchtkraft erhalten

Warnschutzkleidung ist in vielen Branchen, z. B. am Bau, bei der Abfallentsorgung oder in der metallverarbeitenden Industrie, vielerlei Einflüssen ausgesetzt. Sie erfüllt bei starker Verschmutzung die vorgeschriebenen Reflexions- und Retroreflexionswerte nicht mehr, wodurch die Erkennbarkeit und damit die Sicherheit leideen. Auch mechanisch stark beanspruchte Kleidung erfüllt die Norm und den Zweck nicht mehr. Ausgebleichte oder defekte Warnschutzkleidung muss ausgeschieden werden.

Vorsicht bei der Veredelung

Foto links

Durch große Logos mit Hintergrundfarbe (Logo-Rahmen) wird die Mindestfläche des leuchtenden Gewebes reduziert. Das kann den Verlust der geprüften Leistungsklasse und das Erlöschen der Baumusterprüfung bedeuten.

Foto rechts

Durch Aufbringen des Logos ohne Hintergrund bleiben ausreichend sichtbare Fläche und damit die Baumusterprüfung erhalten.

Tag- und Nachtsichtbarkeit eingeschränkt

Aufgrund abgelöster Reflexstreifen und der Verschmutzung durch Öl- und Grafitstaubablagerung gewährleistet diese Warnschutzjacke weder die in der EN 20471 geforderte Nachtsichtbarkeit noch die Tagsichtbarkeit. 

Quelle: Bericht von Joachim Geyer, PSA-Experte bei der Paul H. Kübler Bekleidungswerk


Über den Autor

Joachim Geyer
PSA Fachberater / Experte bei Kübler Workwear
Joachim Geyer ist seit über 17 Jahren beim Unternehmen KÜBLER WORKWEAR tätig und leitet mit seiner langjährigen Erfahrung das Thema Persönliche Schutzausrüstung (PSA) als Key Account Manager. Aufgrund seiner Fachkompetenz wird er als PSA-Experte bei Schulungen und Seminaren und als TÜV-Referent eingesetzt.