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Haberkorn haucht Rigoletto Leben ein

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Im tonnenschweren Hofnarr-Kopf der Festspielbühne steckt jede Menge Technik. Dank einer hochkomplexen Hydraulik-Lösung von Haberkorn kann Rigoletto seinen Kopf heben, nicken und den Mund öffnen und schließen.

Einem Hofnarren zu sagen, was er zu tun hat, klingt schon nach einer großen Herausforderung. Einem Hofnarren, der allein halsaufwärts fast 15 Meter hoch und 140 Tonnen schwer ist, erst recht. Thomas Nachbaur, Projekttechniker bei Haberkorn, hat diese Herausforderung angenommen. Und er wurde Herr über die Dinge.

Beim Hofnarren handelt es sich um einen der weltweit bekanntesten: Rigoletto aus der namensgebenden Oper von Giuseppe Verdi aus dem Jahr 1851 – und ebendieser prägt das aktuelle Bühnenbild der Bregenzer Seebühne. Heuer im Juli wurde, coronabedingt, Wiederaufnahme-Premiere gefeiert.

Um Rigoletto Leben einzuhauchen, wurde sein Konterfei in die vier Gewerke Hand Lindau, Hand Bregenz, Kopf mit Wippe und Kragen unterteilt – und diese an in den Bereichen Motorik und Hydraulik spezialisierte und in der Region verankerte Unternehmen beauftragt. So wurden der Firma Steurer aus Doren im Bregenzerwald alle mechanischen Funktionen am Kopf mit Wippe sowie am Kragen anvertraut. Die hydraulischen Arbeiten vergab Steurer wiederum an Haberkorn.

Interessen von 25 Technikern unter einen Hut bringen

Und was da auf Thomas Nachbaur wartete, stand in vielerlei Hinsicht nicht auf der beruflichen Tagesordnung. Weder die Dimensionen – wie eingangs erwähnt misst Rigolettos Kopf 13,5 Meter, allein die Augäpfel haben einen Durchmesser von 2,7 Metern – noch die technischen Randdaten. „Bei so gut wie jedem Teil, das wir eingebaut haben, handelt es sich um ein Sonderteil – angefangen von Sonderzylindern bis hin zu den eigens angefertigten Schläuchen“, so Nachbaur. „Die Erfahrung mit Rigoletto kann also am ehesten als nicht alltäglich, aber auch als schwierig bezeichnet werden“, fasst Nachbaur das Mammut-Projekt zusammen. Eine zusätzliche Herausforderung war, dass an den regelmäßig abgehaltenen Sitzungen jeweils 25 Techniker anwesend waren. „Das heißt, dass die Interessen dieser 25 Personen unter einen Hut gebracht werden mussten. Und ein Statiker hat natürlich eine andere Herangehensweise als ein Bühnenmeister, ein Zivilingenieur oder ein TÜV-Mitarbeiter“, führt der Hydraulik-Experte vor Augen. „Vereinzelt haben sich die Ideen, Anforderungen und Normen der verschiedenen Projekttechniker sogar widersprochen. Es war also kein leichtes Unterfangen, hier auf einen grünen Zweig zu kommen.“ Eineinhalb Jahre dauerte die Projektphase von der Anfrage bis zur Abnahme.

Die höchsten Sicherheitsansprüche

Die größte technische Herausforderung? Da muss Nachbaur keine Sekunde überlegen: „Das Sicherheitsintegritäts-Level SIL3“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Schließlich geht es hier um Menschenleben und entsprechend hoch sind die Sicherheitsanforderungen. Auch soll hiermit das Ausfallrisiko auf ein Minimum reduziert werden. Das war und ist in diesem Ausmaß auf jeden Fall etwas Besonderes.“ Die hohen Anforderungen an die Sicherheit wurden unter anderem mit einem frei parametrierbaren dreifach redundanten SSI Wegmesssystem in den Zylindern – erstmalig in dieser Form in Europa ausgeführt – sowie wegerückgeführten Proportionalventilen mit Diagnosehub erreicht.

 

Um die Bewegungen des Bühnen-Schwergewichts entsprechend den künstlerischen Vorgaben realisieren zu können, musste die hydraulische Versorgungsleistung auf knapp 330 kW erhöht werden. Haberkorn wurde deshalb beauftragt, ein Hydraulikaggregat nach dem aktuellsten Stand der Technik mit 150 kW Antriebsleistung zu bauen. Das Aggregat wurde schlüsselfertig mit einem 10-Fuß-Container inklusive kompletter Steuerung, Glykol-Kühlsystem, Lackierung, Beleuchtung, Heizung, Lüftung, etc. geliefert.

„Die Hydraulik spielte auf der Seebühne immer schon eine große Rolle – noch nie aber war der hydraulische Aufwand so groß“, betont der Haberkorn Experte. „Diese Dimensionen werden in meiner beruflichen Laufbahn wohl nicht mehr erreicht werden“, fügt der Vorarlberger hinzu.

Beeindruckende Dimensionen

Für die Montage auf der Bregenzer Seebühne – ihres Zeichens übrigens die weltweit größte Seebühne – wurden etwa 600 Stunden benötigt. Um diese Zahl besser vor Augen zu führen: Umgerechnet sind dies 75 Arbeitstage à acht Stunden. Installiert wurden 500 Meter Rohre sowie 500 Meter Schlauchleitungen – alle auf Maß angefertigt –, um den Kopf bewegen zu können. Hierfür sind Druckbelastungen bis 160 bar und 580 Liter pro Minute vonnöten. Allein der Wippzylinder für den Kopf hat ein Gewicht von eineinhalb Tonnen – und die für das Nicken verantwortliche Zylinder haben komplett ausgefahren eine Länge von jeweils 7,4 Metern. Um die beachtliche Fördermenge des Hydraulikaggregates von 580 l/m sicher und geregelt an die Zylinder zu bringen, wurden speziell für die Festspiele Sonderventilblöcke angefertigt, die ein beachtliches Gesamtgewicht von 900 Kilogramm auf die Waage bringen. Die schwerste allein wiegt mehr als 300 Kilogramm. So imposant wie das Gesamtkunstwerk im Bodensee, so imposant sind also auch die Zahlen zum Haberkorn Projekt.

„Es war alles andere als ein Serienprodukt und bei Einzel- bzw. Neuprojekten treten immer wieder Fehler auf. Aber in Wahrheit gibt es bei einem solchen Projekt keinen Raum für Fehler. Natürlich werden kleine Puffer eingeplant. Aber am Premierentermin gibt es nichts zu rütteln – und spätestens da muss Rigoletto zum Leben erweckt werden.“ In der Festspielsaison 2019 ist dies wie am Schnürchen gelaufen. Einer erfolgreichen Wiederaufnahme-Premiere steht also auch – zumindest von der technischen Seite – nichts mehr im Wege. Hoch lebe Rigoletto!